NGC 2419, der "intergalaktische Wanderer"

21. 3. 2022, Mistelbach

Alle guten Dinge sind drei, sagt man. Es war der dritte Anlauf auf dieses Objekt. Zweimal waren wir dran, um am Ende drauf zu kommen, die Aufnahmen sind unscharf - die Ursache war jedenfalls eine andere in beiden Fällen. Abgehakt, besser machen. Diesen Kugelhaufen kriegen wir schon noch. Es ist ja eine Schönwetterkatastrophe ausgebrochen, ein "hartnäckiges" Hoch, das uns klare aber teils noch sehr kalte Nächte bescherte. Nach Saharastaub in der Luft hatte der Wind auf Ost gedreht, und den Kehraus gemacht. Für den 21. März hatte ich nichts besonderes vor, so kontaktierte ich Andi, ob wir nicht etwas unternehmen wollten. Er sagte zu. So begann ich gegen 19 Uhr die Sternwarte vorzubereiten.

Eines war klar, wir würden NGC 2419 auf der Westseite aufnehmen müssen. Vor Meridiandurchgang blieb nicht genug Zeit, aber wir mussten auch nicht lange warten bis unser Zielobjekt den Meridian überschritten hatte. Bis Mondaufgang sollte genug Belichtungszeit drin sein. Für uns war es eine Premiere, erstmals ein Objekt auf der Westseite mit der CEM120 anzufahren.

Andi musste aufgrund der anderen Tubusorientierung seinen "Steuersitz" neu arrangieren, und so konnte er sogar im Sitzen direkt in der Polstellung der Montierung fokussieren, während ich ins Haus zischte, um in wärmere Klamotten zu schlüpfen. Als Stern zur Kontrolle des Fokus, und für einen "Sync" Punkt, nahm Andi den Stern τ Gem. Die Montierung fuhr zunächst diese Stelle brav per Goto an. Plate-Solving, Sync, und Kontrolle des Focus. Alles ok. 

Gleich noch den Flatfield Kasten auf den Tubus, und Flats erstellen. Da probierten wir in SharpCap mal die Option, die Flats mit Bias zu kalibrieren lassen. Erst mal wieder fast ein Hoppala, im Histogramm sah ich unsere Peaks nicht, aber ein Zupfer am Regler, und schon war alles da wie erwartet, und auch gleich gut. Soweit lief die Sache.

Dann auf zum Objekt. Das war dann zu viel verlangt. Der Antrieb steckte in Dec fest, der Motor gab sein typisches, unerfreuliches Brummen von sich, aber verstummte bald auch. Weit wäre der Weg nicht gewesen. Da noch einen Versuch auf die Teleskop Position zu Syncen und nochmal aufs Objekt gehen zu wollen, fruchtete nicht. Ich nahm die Handbox und fuhr mal die RA Achse in die Zero Position, dann mit langsamerer Geschwindigkeit die Dec Achse. Dabei verhedderte sich das USB Kabel der Kamera mit dem Tubus, es kam offenbar Zug auf die Schnittstelle am Notebook. Wir konnten zwar das Kabelgewirr in Ordnung bringen, aber danach wollte die Verbindung der Kamera nicht mehr. Wir hatten das Signal zwar beim Anstecken des Kabels, aber SharpCap konnte die Kamera nicht verbinden. Auch ein Neustart des Rechners half vorerst nicht. Erst als Andi die USB 3 Steckkarte zog und neu einrastete, mit neuerlichem Systemstart, lief wieder alles wie es sein soll. Wir hatten so mit einer Panne, die die andere hervorrief, gleich mal Zeit verloren. Aber nicht wirklich viel.

NGC 2419 war nun definitiv über den Meridan gewandert, und wir waren wieder mit händischer Positionierung unterwegs. Man muss sich halt zu helfen wissen. Die RA Achse verfuhr ich mit voller Geschwindigkeit, die Dec Achse sicherheitshalber langsamer. So kamen wir zum Objekt. Eine Testaufnahme, und der Kugelhaufen war schon im Feld, aber halt am Rand. Mit dem Plate-Solving holten wir ihn in die Mitte, doch ganz die Mitte war es nicht. Ich hatte zwar die Zero Position neu suchen lassen, damit sich das Teleskop sicher in dieser befindet, nur vergaß ich, dies als neue Zero Position auch zu setzen. Da hatten wir nun einen kleinen Offset. Aber Glück muss man auch mal haben, Andi erwischte die richtige RA Taste des iOptron ASCOM Commanders, und flugs war der Kugelhaufen wirklich in der Bildmitte. Eine erste Testaufnahme zeigte, dass die Flatfield Kalibrierung funktioniert. Keine dunklen oder helle Ecken. Passt.

Den Guider kalibrieren verlief problemlos, der Guider startete, so konnten wir die Aufnahmeserie auch anwerfen. Life-Stacking Pakete zu 10x 3 Minuten, derer sollten drei ausgehen bis Mondaufgang. So zogen wir uns ins Haus zurück, man muss ja nicht draußen in der kalten Sternwarte sitzen. Bis wir wieder raus schauten, lief gerade die letzte Aufnahme. Hei, genau erwischt. Danach war nur mehr Abbauarbeit zu erledigen, und Andi schob mir die drei Stackbilder auf den USB Stick.

Nichts für ungut - die zwei vergeblichen Anläufe auf dieses Objekt - wir hatten dieses mal einen für Mistelbach guten 5.6 mag Himmel (Zenitraum), auch das Seeing war nicht übel.

Am nächsten Tag stackte ich die Bilder in Fitswork und bald waren auch die Farben halbwegs zurechtgezupft, der Histo-Stretch auch. Nun schaltete ich die Ansicht auf 100%, um mehr Details zu sehen. Himmel, was ist da wieder los? Alles voll mit dunklen Pixel. Ich denke, die Bias Kalibrierung der Flats war keine gute Idee. Das dürfte schief gelaufen sein. Kann ich das Bild retten, oder sind die Daten neuerlich zum Kübeln? Mit Median und Gauss Filter konnte ich die einerseits zu dunklen und zu hellen Pixel, die nun nach erster Bearbeitung drin waren, ausgleichen. Das Bild wurde glatter. Nun noch einen Wavelet Rauschfilter mit sanfter Nachschärfung, und siehe da, es wird doch was draus. Finale Arbeiten sind mit Farbe, Saturierung, Kontrast und Hintergrundhelligkeit zu tüften, alles möglich zu optimieren. Nachfolgend das Elaborat.


NGC 2419: 8" f/5 Fotonewton auf der iOptron CEM120, ZWO ASI 2600 MC-Pro, 30x 3 Minuten

Das obige Bild ist in voller Auflösung zu sehen. Kein Wunder also, dass die zwei hellen Sterne fette Patzen sind. Die Auflösung ist für einen 8" Newton schon beachtlich. Dennoch, zwischen den aufgelösten Sternen findet man noch einen "Nebel" an unaufgelösten Sternen. Das erinnert an visuelle Beobachtungen von Kugelhaufen wie z.B. M13, bei dem, wie groß auch die Öffnung war, die ich bisher vor meinem Auge hatte, war auch immer noch ein Nebel von unaufgelösten Sternen merkbar, selbst im 25" Dob.

Bleiben wir bei der visuellen Beobachtung dieses Objekts. Mit einem guten Vierzoll Refraktor wird ein g'standener Beobachter diesen Kugelhaufen als kleines Nebelfleckerl sehen können. Mit 6" Öffnung wird nicht viel mehr zu wollen sein. Mit einem guten 8" Cassegrain konnte ich die hellstern Sterne ankratzen, die, so sagt man, schwächer als 17 mag seien. Sicher geht diese Beobachtung in den Extrembereich. Mit einem 10 Zöller liegt dieser Bereich immerhin schon dort, was ich für mich noch halbwegs als "Comfort Zone" bezeichne. Von 12" an aufwärts sollte es leichter sein, an Einzelsterne heranzukommen. Man braucht aber nur das Foto zu betrachten: Auf rotes Licht ist unser Auge bei schwachen Lichtreizen unempfindlich. Wir sehen also visuell nur den helleren "Kern" des Haufens. Auf jeden Fall stört der nächst gelegene helle Stern, man muss trachten, diesen aus dem Feld zu bekommen, was leichter bei höherer Vergrößerung zu machen ist.

Was uns bei diesem Objekt zugute kommt: Wir blicken etwas abseits der Hauptebene unserer Galaxie unbehindert hinaus ins All, das Sternbild Luchs ist ja auch sehr arm an helleren Sternen, ein unscheinbares Himmelsfeld. Und es ist sowieso klar: Die "digitale Beobachtung" zeigt Details, an die wir visuell sowieso nie herankommen könnten. Es hat schon einen Grund, warum die visuelle Beobachtung in der Wissenschaft längst ausgedient hat. Im Gegenzug muss gesagt werden, dass die ersten Erkenntnisse über das Universum eben durch visuelle Beobachtung gewonnen wurden.

Aus astrophysikalischer Sicht ist NGC 2419 hoch interessant. Man findet zwei verschiedene Sternpopulationen. Wohl solche, die man in einem Kugelhaufen vermuten würde, aber auch welche, die sich in der chemischen Zusammensetzung deutlich unterscheiden. Da stellt sich die Frage, ob wir generell eine nicht ganz zutreffende Vorstellung von der Entstehung von Kugelhaufen haben. Es könnte auch sein, dass es sich bei diesem Objekt um keinen normalen Kugelhaufen handelt, sondern den Rest einer durch die Gezeitenkräfte der Milchstraße "zerriebene" Zwerggalaxie. Was wirklich damit los ist, ist nach wie vor ungeklärt.
Was noch auffällt: Ein einzelner blauer Stern ist auf obigem Bild zu finden, auch auf der HST Aufnahme dieses Objekts sticht ein einzelner blauer Stern raus. Wohl ein Blue Straggler.

Der Name "Intergalactic Wanderer" wurde geboren, als man noch nicht wusste, dass dieser Haufen sehr wohl gravitativ an unsere Galaxie gebunden ist. Mittlerweile sind einige Kugelhaufen bekannt, die noch weiter draußen ihre Bahn um die Milchstraße ziehen. Jedenfalls ist NGC 2419 schon ziemlich weit weg, und dennoch so hell, dass er auch für kleinere Instrumente visuell "zugänglich" ist. Und das macht diesen Kugelhaufen so besonders, im Vergleich zu den paar anderen noch weiter entfernten Kugelhaufen unserer Galaxie.

Howdii